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Ein Jahr vor Heim-EM: DFB am Tiefpunkt

30. Juni 2023

Nach dem Ausscheiden der U21 bei der EM könnten der Frust und die Enttäuschung beim DFB nicht größer sein. Ein Sommermärchen wie bei der Heim-WM 2006 scheint aktuell nur schwer erreichbar.

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Fußball | Freundschaftsspiel Deutschland vs Kolumbien
Bild: Meusel/Beautiful Sports/IMAGO

Es soll ein großes Fußballfest werden. Im kommenden Jahr ist Deutschland Gastgeber der Europameisterschaft. "Die Vorfreude auf die EURO 2024 ist riesengroß", freute sich Turnierdirektor Philipp Lahm bei einem offiziellen UEFA-Termin im März. "Solche Turniere im eigenen Land sind immer etwas ganz Besonderes und wir wollen wieder ein großes, gemeinsames Fest feiern", so der Weltmeister von 2014.

Mittlerweile, nur wenige Wochen nach Lahms Aussagen, dürfte diese "Vorfreude" einen gehörigen Dämpfer bekommen haben. Denn dem deutschen Fußball geht es so schlecht wie schon seit vielen Jahren nicht mehr. Beim kläglichen und frühen Ausscheiden bei der EM in Georgien der zuletzt so erfolgreichen U21 fehlte es - ähnlich wie bei dem A-Team - an fast allem: Leidenschaft, Begeisterung und Qualität. Mit Blick auf den ebenfalls besorgniserregenden Zustand der A-Nationalmannschaft wachsen die Zweifel bei den Anhängern.

Fans sind enttäuscht vom DFB-Team

Nach äußerst erfolgreichen Jahren mit drei Finalteilnahmen in Serie ist Deutschlands U21-Nationalmannschaft erstmals seit 2013 wieder in der Vorrunde der EM ausgeschieden. Für den DFB ist es der negative Schlusspunkt einer ernüchternden Saison. "Wir haben die Schnauze voll", skandierten die Fans nach dem 0:2 der U21 im letzten Vorrundenspiel gegen England, während Joti Chatzialexiou, der Sportliche Leiter Nationalmannschaften beim DFB, zugab: "Da liegt noch viel Arbeit vor uns, um den Anschluss an die Weltspitze nicht definitiv zu verpassen."

Philipp Lahm moniert fehlende "Balance und Stabilität"

Konnte sich der DFB in den vergangenen Jahren immer auf seine Nachwuchsteams verlassen, schwächeln auch diese nun und passen sich den Auftritten des DFB-Teams von Bundestrainer Hansi Flick nahtlos an. Lediglich die U17 konnte überraschend den EM-Titel gewinnen. Der Sieg war ein Hoffnungsschimmer in eher dunklen Zeiten.

Denn zur Wahrheit gehört auch, dass die deutsche U19 kurz zuvor die EM verpasst hatte - zum vierten Mal in Folge. Weil nun auch die U21 schwächelt, stellt sich die Frage nach der Perspektive. Denn die schlechten Leistungen der Nachwuchsteams betreffen auch den Bundestrainer, der immer weniger Alternativen für seinen ohnehin schwach besetzten Kader zur Verfügung hat. "Die deutsche Elf strauchelt, ihr fehlen Kontrolle, Balance und Stabilität", analysierte auch Turnierdirektor Lahm in einer Kolumne auf "Zeit online".

FIFA-Rangliste: Deutschland nur noch auf Platz 15

Siege sind zur Seltenheit geworden, in der FIFA-Weltrangliste liegt das DFB-Team nur noch auf Platz 15 - hinter den USA, Marokko oder der Schweiz. Noch Anfang 2018 führte Deutschland die Liste an. Passend dazu belegen die sinkenden TV-Quoten das ebenfalls sinkende Interesse. Dazu fehlt es der DFB-Elf an Qualität auf nahezu allen Positionen.

Ilkay Gündogan spricht mit Bundestrainer Hansi Flick bei einem Training der deutschen Nationalmannschaft
Ilkay Gündogan zählt zu den wenigen Leistungsträgern im Team von Bundestrainer Hansi Flick (r.)Bild: Federico Gambarini/dpa/picture alliance

Außer Ilkay Gündogan, der gerade zum FC Barcelona gewechselt ist, Offensivtalent Jamal Musiala, Antonio Rüdiger oder Marc-André ter Stegen auf der Torwartposition, spielen im deutschen Team aktuell nur wenige Spieler auf internationalem Niveau. Bayern Münchens Joshua Kimmich oder Leon Goretzka sind außer Form. "Die müssen natürlich die jungen Spieler führen", erklärte DFB-Sportdirektor Rudi Völler. Und sie müssten konsequent vorangehen und sagen, 'wir kriegen jetzt noch die Kurve'."

Stefan Kuntz: "Defizite bei Einstellung und Mentalität"

Der DFB hat es jahrelang verpasst, neue starke Defensiv-Spieler, Stürmer oder kreative Köpfe für die Offensive auszubilden. Das von Oliver Bierhoff, den ehemaligen DFB-Sportdirektor, ins Leben gerufene "Projekt Zukunft", was die Nachwuchsarbeit im Fußball auf neue Füße stellen soll, wurde erst 2021 eingeführt. "Kinder und Jugendliche sollen wieder mit mehr Spaß Fußball spielen, mehr Ballkontakte und längere Einsatzzeiten in den Spielen haben", versprach Bierhoff. "Wir brauchen mehr Spieler mit Bolzplatzmentalität." Doch bis diese Spieler in der Spitze angekommen sind, dauert es noch.

Ex-Trainer Stefan Kuntz: "Das ist Einstellungssache"

Aus Sicht des früheren U21-Nationaltrainers Stefan Kuntz können deutsche Fußball-Talente auch wegen ihrer Defizite bei Einstellung und Mentalität international oft nicht mehr auf Top-Niveau mithalten. "Das ist eine Einstellungssache, die hat mit der Ausbildung nichts zu tun. Das hat damit zu tun, ob ich mich einfach aufgebe", sagte Kuntz.

Deutschland vs Niederlande U21 U 21 Freundschaftsspiel 27 03 2018 Trainer Stefan Kuntz
Stefan Kuntz wird 2017 und 2021 als Trainer Europameister mit der U21 - seitdem geht es bergabBild: Jörg Schüler/ Imago Images

Den Grund für die fehlende Siegermentalität sieht der 60-Jährige vor allem in den Ausbildungsstrukturen in Deutschland. "Den Jungs wird alles abgenommen, sie müssen selbst gar keine Konflikte mehr lösen. Wenn sie nicht spielen, reden die Eltern mit dem Trainer. Wenn es Probleme in der Schule gibt, gehen die Eltern zum Lehrer", so Kuntz. "Da wird insgesamt viel zu wenig auf Eigenverantwortung gesetzt."

Die Stars spielen woanders

Dazu kommt die Konkurrenzlosigkeit der deutschen Vereine auf internationaler Ebene. Ein Champions-League-Finale zwischen zwei Bundesliga-Klubs wie 2013 zwischen Bayern München und Borussia Dortmund scheint aktuell Lichtjahre entfernt. England ist enteilt, Spanien auch, sogar Italien war jüngst in allen drei Endspielen vertreten. Es fehlt in der Bundesliga an Spannung, an Begeisterung und an internationaler Qualität, denn Stars wie Jude Bellingham, Erling Haaland oder auch Robert Lewandowski haben die Liga längst verlassen.

Zudem sprechen elf Titel in Folge für den FC Bayern auch eine deutliche Sprache. Ein Jahr vor der Heim-EM fehlt jeder Glaube an ein Sommermärchen à la 2006. Den Verantwortlichen beim DFB bleibt momentan nicht viel mehr als Zweckoptimismus. "Alles wird natürlich auf die Schnelle nicht besser werden. Wichtig ist, dass es im nächsten Sommer viel besser ist", so Rudi Völler.