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Kabarettisten sehen nicht nur schwarz

9. August 2005

Eine konservative Regierung - für das deutsche Kabarett war das immer ein gefundenes Fressen. Aber auch mit Rot-Grün kann man durchaus pointenreich leben. Die Kabarettisten sehen der Wahl mit Gelassenheit entgegen.

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"Masse füllt kein Vakuum", meint Horst SchrothBild: dpa
Dieter Hildebrandt
Dieter HildebrandtBild: dpa

"Egal, wie es kommt - der Unterschied wird nicht groß sein", ist die fast einhellige Meinung. Dieter Hildebrandt (78), Deutschlands dienstältester aktiver Kabarettist, sieht "die im Hintergrund lauernde Gewissheit, dass es eine Fortsetzung mit anderen Mitteln gibt" - und damit weiter genügend Themen fürs Kabarett. Ein Regierungswechsel werde "nahtlos" sein. "Die Löcher bleiben ja. Wer will sie denn stopfen?", fragt der Mitgründer der Münchner Lach- und Schießgesellschaft und Ex-TV-"Scheibenwischer".

Mit einem Regierungswechsel verbunden sieht Hildebrandt vor allem einen Generationenwechsel. "Die 68er-Generation ist abgemeldet. Herrn Schäuble haben sie schon entmerkelt", meint er spöttelnd. Ein gewisses Vergnügen kann Hildebrandt auch für den Fall nicht verbergen, dass es eine große Koalition geben könnte: "Ich würde mich nur freuen für die FDP - dann wären wir die mal vorübergehend los."

"Bundeskanzler ist ein Ausbildungsberuf"

Matthias Deutschmann
Matthias DeutschmannBild: dpa

Auch für Solo-Kabarettist Matthias Deutschmann sind die Unterschiede zwischen den Parteien "nicht mehr wie zu Adenauer-Zeiten". Durch einen Regierungswechsel würde sich nach Meinung des 46-Jährigen das Kabarett nicht wesentlich verändern. "Die kleinen und großen Parteien machen zweifellos viel Theater, verfügen aber auch nur in Ausnahmefällen über gute Schauspieler", gibt Deutschmann zu bedenken. "Herr Schröder ist ein versierter Mime. Frau Merkel ist es nicht. Aber das kann ja noch kommen, denn Bundeskanzler ist ja ein Ausbildungsberuf."

Deutschmann sieht es als großes Glück, dass er am Tag der Bundestagswahl live bei einem 3sat-Festival "über den Beginn einer neuen politischen Epoche in Deutschland öffentlich-rechtlich herfallen" kann. "Vielleicht gibt es ja am 18. September so etwas wie eine geistig-moralische Wende", sagt er amüsiert und fügt hinzu: "Die letzte - 1982 mit Kohl - hat uns ja immerhin das Privatfernsehen und die 0190-Nummern gebracht." Stolz ist Deutschmann auf seinen Namen: "Damit bin ich eigentlich prädestiniert, sowohl Oskar Lafontaine als auch der CDU das Wasser abzugraben."

Merkel mit Zigarre?

"Schlimmer kann's nicht kommen - aber ich würde nicht darauf wetten", sagt Kabarettist, Autor und Schauspieler Horst Schroth. Einen Regierungswechsel fände er nicht schlecht. "Die Regierung würde ich lieber den ersten 300 Leuten aus dem Berliner Telefonbuch überlassen als denen, die jetzt dran sind", lästert der 1948 geborene Oberfranke und ehemalige Wahlkämpfer für die Grünen. Und er ist sich sicher, dass er auch in den nächsten vier Jahren nicht sprachlos sein wird. Ob er diesmal allerdings selbst überhaupt wählen geht, weiß er noch nicht: "Joschka Fischer ist der Beweis, dass sich mit Masse kein Vakuum füllen lässt", meint Schroth, der seit fast 20 Jahren mit dem heutigen künstlerischen Leiter des Hamburger St. Pauli-Theaters, Ulrich Waller, zusammenarbeitet.

Ulrich Waller
Ulrich WallerBild: dpa

Für Waller, selbst als Autor aktiv, würde ein Regierungswechsel "keine besondere Konjunkturbelebung für das Kabarett" mit sich bringen. "Die Jahre mit Schröder waren schon sehr ergiebig, das Chaos hat uns sehr viel Stoff gegeben mit hohem Unterhaltungswert." Waller, Gründer des Hamburger Kabarettfestivals, dem nach seinen Angaben ältesten derartigen Festival in Deutschland, rechnet mit einer Großen Koalition. Gedanken macht sich Waller darüber, dass Frau Merkel inzwischen Ludwig Erhard beschwöre. "Ich warte schon auf den Moment, wenn sie mit Zigarre erscheint."

"Wahlen sind Ausdruck von Notwehr"

Matthias Richling
Matthias RichlingBild: dpa

Für den Kabarettisten Mathias Richling berechtigen Wahlen nicht zu Hoffnungen. Sie seien lediglich Ausdruck von Notwehr. "Deutschland wird nicht, sondern bleibt im Herbst so, wie es ist: konservativ", glaubt der 52-jährige Schwabe. "Denn Rot-Grün hat sich in den letzten Jahren alle Mühe gegeben, eine Politik der rechten Mitte zu machen. Gefährlich könnten der SPD vor allem die linken Abspaltungen werden, zum Beispiel die CDU und die CSU." (dpa/wga)