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PolitikKolumbien

Was sind die Gründe für die Massenproteste in Kolumbien?

Diego Zúñiga
24. April 2024

Zu Hunderttausenden gingen Menschen in den großen Städten Kolumbiens auf die Straße, um gegen die linke Regierung von Gustavo Petro zu protestieren. Der Präsident verliert seine Basis - und die Gründe sind vielfältig.

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Menschen demonstrieren gegen Reformpläne der Regierung Petro in Kolumbien
Protest in der Regionalhauptstadt PasoBild: Leonardo Castro/colprensa/picture alliance/dpa

Ob es 250.000 Protestierende gewesen waren oder sogar doppelt so viele, die gegen die Regierung von Präsident Gustavo Petro auf die Straße gingen - für Stefan Reith waren die Demonstrationen "zahlenmäßig massiv" und "gingen weit über das rechte Lager hinaus". Reith ist Leiter des Kolumbien-Büros der deutschen Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS), die der Christlich-Demokratischen Union nahe steht. "Viele Teilnehmer kamen aus der politischen Mitte und der Mittelschicht", erklärt er im DW-Gespräch. Der Protest sei "als Aufforderung der Bürger an die Regierung zu verstehen, zuzuhören, nachzudenken und den Diskurs und ihre Reformagenda zu mäßigen".

Die Demonstrationen vom Sonntag richteten sich unter anderem gegen die geplante Verstaatlichung des Gesundheitssektors. Aber auch Petros Bestrebungen eines "totalen Friedens" mit bewaffneten Guerillagruppen lehnen die Demonstranten ab.

Kolumbiens Sicherheitslage ist ein Problem

"Kolumbien ist ein Land, in dem Demonstrationen nicht ungewöhnlich sind, aber diese war eine der größten", sagte Gabriel Cifuentes, politischer Analyst und Co-Direktor der Beratungsfirma Greystone Consulting Group Latam. Nach Ansicht des Experten tragen Faktoren wie die "heikle Sicherheitslage, Friedensverhandlungen mit den zahlreichen bewaffneten Gruppen ohne sichtbare Ergebnisse und ein immer noch nicht eingelöstes Versprechen auf Veränderung" zur Unzufriedenheit bei.

Eine Frau im Trikot der Fußball-Nationalmannschaft Kolumbiens fordert auf einem Plakat die Absetzung des Präsidenten
Einige der Demonstrierenden fordern den Rücktritt von Präsident PetroBild: Juancho Torres/Anadolu/dpa/picture alliance

"Die wachsende Unsicherheit im Kontext der Friedensverhandlungen" ist auch für Stefan Reith ein wichtiger Faktor. "Viele Menschen kritisieren, dass die Regierung in den Verhandlungen mit den verschiedenen bewaffneten Gruppen Zugeständnisse macht, ohne dass sich die illegalen Akteure wirklich zu etwas verpflichten."

Kolumbien litt 52 Jahre lang unter einem Bürgerkrieg zwischen linken Rebellen, rechten Paramilitärs und dem Militär. 220.000 Menschen kamen ums Leben, Millionen wurden vertrieben. Zwar hat sich die Sicherheitslage nach dem Friedensabkommen zwischen der Regierung und der FARC-Guerilla verbessert, allerdings werden noch immer Teile des südamerikanischen Landes von illegalen Gruppen kontrolliert.

Vielen in Kolumbien gehen die Reformpläne zu weit

Der Analyst Cifuentes betont im DW-Gespräch zudem die allgemeine Unzufriedenheit mit den Reformplänen des Präsidenten. Er sagt, die Vorschläge der Regierung würden "heikle Themen wie das Gesundheitswesen berühren, und das in einem Land, in dem das System zwar Mängel aufwies, aber mehr oder weniger gut funktionierte".

Allzu optimistische Versprechungen hätten Erwartungen geweckt, die nicht erfüllt wurden und zu großen Frustrationen führten. So sei die Klientelpolitik immer noch allgegenwärtig, die wirtschaftliche Situation praktisch unverändert und die öffentliche Ordnung habe sich nicht verbessert, sagt Cifuentes. "Es hat den Anschein, als sei der Wandel eher eine narrative Strategie als eine Tatsache."

Dies würde den Rückgang der Umfragewerte für die Regierung und insbesondere für Präsident Petro erklären. Die Umfragen zeigen, dass die Unterstützung bei etwa 35 Prozent liegt, wobei die Mittelschicht, die den Präsidenten anfangs unterstützte, jetzt zunehmend auf Distanz geht. Die Umfragen, so KAS-Leiter Reith, zeigen "die schwächsten Ergebnisse seit dem Regierungswechsel im August 2022". Seiner Meinung nach gibt es neben der natürlichen Abnutzung eines Mandats auch andere Gründe für diesen Popularitätsverlust: "Die Vertreter der Mittelschicht und der politischen Mitte, die durchaus die Notwendigkeit sozialer Reformen sehen, lehnen radikale Kürzungen ab und bevorzugen gemäßigtere und konsensfähigere Maßnahmen."

Kritik an der Reaktion von Präsident Gustavo Petro

Präsident Gustavo Petro reagierte prompt und warf den Protestierenden vor, sie wollten einen "sanften Staatsstreich". Für den 1. Mai kündigte der Präsident Demonstrationen zugunsten der Regierung an, an denen er selbst teilnehmen werde. "Es geht nicht darum, das Land zu spalten, es ist bereits gespalten. Es geht auch darum, der Stimme des Volkes Gehör zu verschaffen", schrieb er auf X.

"Die unmittelbare Reaktion von Präsident Petro auf die Demonstrationen war praktisch die gleiche wie die seiner Vorgänger in solchen Fällen", erklärt Reith: "Verharmlosung der Zahlen, Infragestellung der legitimen Gründe und Anliegen der Proteste, und die Diffamierung der Teilnehmer, in diesem Fall als diejenigen, die sich nach offener Repression, militärischen Massakern und der Ermordung junger Menschen sehnen."

Der Analyst Cifuentes sieht es ähnlich. Die Reaktion des Präsidenten sei "verständlich, wenn man bedenkt, dass sie auf seine Basis abzielt. Aber angesichts der Realität des Landes war sie ungeschickt und kurzsichtig". Der Präsident müsse einsehen, so der kolumbianische Analyst, "dass es nicht um die unmittelbaren Schlagzeilen und Reaktionen geht, sondern dass sein politisches Projekt und das Erbe der ersten linken Regierung in Kolumbien auf dem Spiel steht".